Psychologische Praxis Dierk Schäfer

Messies - eine Rezension


Wenn der Amtsarzt Dr. Greiff heißt ...

 

Wenn der Amtsarzt Dr. Greiff heißt, dann verheißt das nichts Gutes, jedenfalls nicht, wenn man damit rechnen muß, daß er auch eingreifen wird.

Frau Assmann ist Messie und der Amtsarzt steht mit der Polizei, dem Schlüsseldienst und der Vermieterin vor der Tür. Frau Assmann öffnet nicht, sie hat sich ängstlich in die letzte Bastion zurückgezogen, das ist der Kleiderschrank, dessen Tür sie krampfhaft mit den Händen von innen zuhält, denn richtig zu schließen ist er schon lange nicht mehr, vollgestopft mit allem möglichen überquellenden Krempel. Nun sitzt Frau Assmann auch noch oben drauf, hat Angst und kommt fast um vor Scham, denn vor Angst hat sie das Wasser nicht halten können. Die Schranktür klappt auf und Frau Assmann fällt dem Greiff vor die Füße.

Frau Assmann ist Messie. So nennt man und nennen sich selbst seit einigen Jahren die Menschen, in deren Wohnung sich der Unrat häuft und nur noch schmale Gänge zwischen den Müllbergen den Weg freigeben zum Bett, in die Küche, in der sich auch das ewig nicht abgewaschene überkrustete Geschirr stapelt, und zum Klo, die Badewanne unbenutzbar vollgestellt. Dies ist das Endstadium, der Zeitpunkt der Offenbarung der Schande, denn wenn auch der Müll noch innerhalb der Wohnung gut gestapelt ist und noch ein paar Schichten drauf passen, so macht der Gestank an der Wohnungstür nicht halt.

Herrad Schenk beschreibt Olga Assmann in ihrem Buch "Das Leben einsammeln? Olga A., die Geschichte einer Messie". Das Buch selber ist geschichtet, wie der Müll in Olga Assmanns Wohnung, wie die Niederlagen in ihrem Leben, aus dem man ohne Schwierigkeiten zwei Leben machen könnte, jedes für sich noch schlimm genug, um froh zu sein, es nicht leben zu müssen. Herrad Schenk sagt auch, sie habe die Lebensgeschichte zweier Messies verarbeitet. Auch wenn das Buch dadurch manchmal etwas arg zugemüllt erscheinen mag, hilft diese Schichtung mitsamt den Rückblenden dem Verständnis der Situation von Messies. Dieses Verständnis benötigen Messies, was nicht heißt, daß der Umgang mit ihnen dadurch unbedingt leichter wird. Solange der Müll, der für sie kein Müll ist, sondern Dinge, die sie noch brauchen können, irgendwann, oder persönlich bedeutsame Dinge, weil sie irgendwie mit dem Leben verknüpft werden, mit Erlebnissen, mit Hoffnung, solange dieser Müll also noch nicht als Müll erkannt wird, auch nicht außen bekannt wird, solange ist die Welt der Messies noch in Ordnung und sie selbst unauffällig, etwas skurril oder gar angesehen, z.B. als Sammler. Alexis Kugel, der Kunsthändler von Yves Saint Laurent sagte kürzlich in einem Interview: "Für Yves Saint Laurent war Kunst lebenswichtig, er hatte ein physisches Bedürfnis nach Kunst. Er war ein Einzelgänger, sehr schüchtern, sehr melancholisch. Er hatte das Bedürfnis, sich wie zum Schutz mit Kunstwerken zu umgeben." (FAZ, 31.01.09, S. 39) Natürlich war er kein Messie, auch die Photos aus seiner Wohnung sehen völlig anders aus als die von Sibylle Fendt, deren Photoausstellung ich vor einigen Jahren eröffnet habe. Auf diesen Photos sehen wir die Menschen in ihrem Gehäus, wie oben beschrieben auf Schuttbergen von Zeitungen, Joghurt-Bechern, verschimmelten Lebensmitteln.

Frau Assmann ist Lichtjahre entfernt von dem berühmten Modeschöpfer. Und hätte ich nicht im Rahmen einer Tagung mit und über Messies ganz direkt vielfältige Erfahrungen machen können, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, gewisse Parallelen zwischen Messies und anerkannten Sammlern zu sehen. Der Unterschied: Messies sind krank, psychisch krank. Sie verstellen sich ihr Leben und leiden darunter, schämen sich wie Alkoholiker in lichten Momenten, doch sie sind unfähig, ihren Leidensdruck zur Verhaltensänderung zu nutzen.

Herrad Schenk geht fast archäologisch vor. Sie gräbt im Lebensmüll von Olga Assmann, beleuchtet hier eine Schicht, dort einen Ausschnitt, sie sondiert und erstellt mit all diesen Facetten eine Anamnese. Wir sehen die Folgerichtigkeit dieses Lebens und Scheiterns. Nicht daß es unbedingt genau so hat kommen müssen, aber daß schließlich Dr. Greiff vor der Tür steht, erscheint beklemmend plausibel, auch daß und wie Olga A. sich diesem Zugriff endgültig entzieht.

Für welche Leser taugt dies Buch? Ganz allgemein wohl für uns normal Unordentliche, die wir keine Messies sind und aufräumen, wenn Besuch kommt. Es geht nicht darum, aufzutrumpfen, bei uns sehe es eben nicht aus, "wie bei Hempels unterm Sofa", sondern die Ansätze zu sehen, die viele von uns in dieser Richtung haben. Wir sammeln nichtige Kleinigkeiten aus dem Urlaub, hängen unser Herz an Erinnerungsstücke, an Souvenirs. Kein Dr. Greiff wird sich darum kümmern, doch ob unsere Nachkommen sich freuen, den Plunder sortieren zu müssen? Vielleicht rufen sie ganz einfach den Entrümpelungsdienst.

Der größere Leserkreis dürfte und sollte aus den Berufen kommen, die Kontakt mit Messies haben oder haben könnten, seien sie Sozialarbeiterin oder Amtsarzt, vom Ordnungsamt oder der Polizei, auch Pfarrer kommen zuweilen in solche Wohnungen.

Sie müssen wissen, daß Messies nicht böswillig sind, wenn die selbstbewußt gewordenen unter ihnen auch manchmal mit ihrem Messie-Sein kokettieren ("So sind wir Messies nun mal."), daß Messies nicht freiwillig so leben, auch wenn wir meinen, sie müßten doch nur mal ordentlich aufräumen oder eine Müllmulde bestellen, daß Messies sich vergewaltigt fühlen, wenn jemand anderes für sie und ohne ihre Einwilligung aufräumt, denn das ist keine Müllbeseitigung, sondern ein tiefer Eingriff in ihr Leben. Darum sind sie schwierig, darum nehmen sie so leicht übel, denn sie sind nicht nur empfindsam, sondern sehr leicht verletztbar.

Wer Messie-Angehörige hat, fühlt sich zwar oft gestraft genug. Doch dies Buch, in dem er vieles wiedererkennen wird, kann ihm helfen, verständnisvoll und nachsichtig, aber nicht nachgiebig zu sein. Solche Menschen haben Olga Assmann im Leben gefehlt.


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